Wettbewerbe: Als Kunstwerk bezeichnet die Jury des Deutschen Fassadenpreises 2022 ihr Siegerprojekt – ein Blockheizkraftwerk mit einer Hülle aus eloxiertem Aluminium von thoma architekten und Fleischer Metallfaszinationen. Die Bekleidung besteht aus Fassadenschindeln in elf unterschiedlichen Dimensionen.
Der Deutsche Fassadenpreis für vorgehängte hinterlüftete Fassaden wird seit 1999 in zumeist zweijährlichem Rhythmus vom Fachverband Baustoffe und Bauteile für vorgehängte hinterlüftete Fassaden e.V. (FVHF) vergeben. Ausgezeichnet werden gestalterisch, technisch und wirtschaftlich herausragende Bauten in Deutschland mit vorgehängten hinterlüfteten Fassaden. In diesem Jahr entschied sich die Jury für ein außergewöhnliches technisches Bauwerk, einem Blockheizkraftwerk in Leipzig-Möckern – eigentlich eine alltägliche Bauaufgabe im städtischen Umfeld. Gebäude, die Energie erzeugen, gehören zur wichtigen städtischen Infrastruktur. Mit dem Neubau gelang eine elegante Integration in das städtebauliche Konzept – „ein atmosphärischer Gewinn für Stadt und Gesellschaft“ urteilt die Jury und verleiht thoma architekten den Deutschen Fassadenpreis 2022 für vorgehängte hinterlüftete Fassaden (VHF). Für die Umsetzung des faszinierenden Entwurfs zuständig war die Firma Metallfaszinationen Fleischer aus Neuhaus am Rennweg. Am 29. September 2022 wurden im Rahmen einer feierlichen Preisverleihung neben dem Hauptpreis vier Anerkennungen an die Architektinnen und Architekten sowie ihre Bauherren vergeben. Der FVHF lobt den renommierten Architekturpreis bereits zum 14. Mal aus.
„Die Herausforderung bestand darin, dass sich das Fassadenkleid einerseits in Zurückhaltung übt und andererseits auch städtische Anziehungskraft ausstrahlt“, beschreibt Susann Stiehl, Projektleiterin bei thoma architekten die Bauaufgabe. Ziel war eine sehr langlebige Fassade, die sich in ihre Einzelkomponenten zerlegen und wiederverwerten lässt. Gleichzeitig sollte die Fassade als Blickfang auch die Funktion des Gebäudes abbilden. Die Bauart der „Vorgehängten Hinterlüfteten Fassade“ bot den Architekten den Spielraum für ihre individuellen Entwurfsideen.
Brückenschlag zwischen Architektur und Handwerk
Gemeinsam mit einem unkonventionell denkenden Klempner-/Spenglermeister Mike Fleischer, der die Aluminiumbleche mit modernen CNC-Maschinen fertigte und mit seinem erfahrenem Team verlegte, entwickelten die Planer eine einmalige Metallfassade, die aus dem rein technischen Bauwerk in der Stadt etwas ganz Besonderes machte. „Es beginnt immer mit einer Idee“, so Mike Fleischer: „Unser Anspruch ist es, eine Brücke zwischen der Architektur und dem Handwerk herzustellen – für uns gehört beides untrennbar zusammen. Für die gestaltgebende Hülle eines Gebäudes bietet uns der Werkstoff Metall unendlich viele Möglichkeiten.“ Die Jury zeigte sich vom technisch-pragmatischen Gebäudeentwurf, gepaart mit einer künstlerisch gestalteten Fassade, beeindruckt. Mit der Fassadengestaltung biete das rein technische Gebäude einen atmosphärischen Gewinn für Stadt und Gesellschaft. Vier weitere Architekturbüros und die jeweiligen Bauherren erhielten für ihre herausragenden Projekte Anerkennungen: • ingenhoven associates für das Düsseldorfer Schauspielhaus • ppp architekten + stadtplaner gmbh für das Landesmuseum für Volkskunde Molfsee • sauerbruch hutton gesellschaft von architekten mbH für den Luisenblock West, Berlin • S&P Sahlmann Planungsgesellschaft für Bauwesen mbH für die Sanierung und Modernisierung der Wohnhochhäuser Gret-Palucca-Straße 9 und 11 in Dresden.
Die fünf preisgekrönten Bauten illustrieren ebenso wie die Vielzahl an hochkarätigen Einreichungen die Gestaltungskraft der VHF und ihre vielfältigen Einsatzmöglichkeiten. Das Preisgeld von zusammen 10.000 Euro wird mit 5.000 Euro für den Gewinner und je 1.250 Euro für die vier Anerkennungen aufgeteilt.
Gebäude, die Energie erzeugen, gehören zur wichtigen städtischen Infrastruktur. Eines der Zukunftsprojekte der Stadtwerke Leipzig ist eine effiziente Kraftwärmekopplungsanlage, die mitten im Wohngebiet Möckern eine Leistung von neun Megawatt bringt. Das Blockheizkraftwerk liegt gegenüber einer Schule, umringt von modernen und sanierten Wohnhäusern, direkt an einer der zentralen Zufahrtstraßen, die in die Leipziger Innenstadt führen. Die Kubatur des rein funktionalen Bauwerks orientierte sich an technischen Erfordernissen und passt sich architektonisch seinen notwendigen Öffnungen und Durchdringungen an. Aus diesem Grund nutzten thoma architekten bewusst die Fassade, um sich „entwurflich auszutoben“, wie Projektarchitektin Susann Stiehl, die das außergewöhnliche Erscheinungsbild gestaltet hat, bemerkte. Ziel war eine sehr langlebige Fassade, die sich in ihre Einzelkomponenten zerlegen und wiederverwerten lässt. Gleichzeitig sollte die Fassade als Blickfang auch die Funktion des Gebäudes abbilden.
Statement der Jury
Das Blockheizkraftwerk Möckern der Stadtwerke Leipzig überzeugt durch einen technisch-pragmatischen Gebäudeentwurf gepaart mit einer künstlerisch gestalteten Fassade, die Neugier weckt. Die innerhalb des Zukunftsprojektes „Nachhaltige Energieversorgung für Leipzig“ errichtete Kraft-Wärme-Kopplungsanlage ist ein rational geplantes Gebäude, das sich hinsichtlich seiner Kubatur und seiner Öffnungen strikt an die technischen Anforderungen anpasst. Dem besonderen Standort innerhalb eines Wohngebietes Rechnung tragend, gelingt es mithilfe der Fassade ein ästhetisches Überraschungsmoment zu schaffen. Die vorgehängte hinterlüftete Fassade besteht aus einer zweiteiligen Unterkonstruktion und einer Fassadenhaut aus elf unterschiedlich dimensionierten Aluminium-Schindeln in Dreiecksform. Die Dreiecke sind so angeordnet, dass sich die Verläufe der Schindeln als Wirbel auf der Fassade abbilden. Die Fassadenbekleidung ist perfekt detailliert und unterbrechungsfrei um die Gebäudeecken verlegt, sodass ein Gefühl der Unendlichkeit aufkommt und sich die Gebäudekubatur beginnt aufzulösen. Die Fassade lässt eine hohe Langlebigkeit erwarten. Zugleich ist durch die Einstofflichkeit der eloxierten Aluminium-Schindeln eine vollständige Recyclingfähigkeit gegeben. Durch die Fassadengestaltung bietet das rein technische Gebäude einen atmosphärischen Gewinn für Stadt und Gesellschaft. Der Entwurf setzt ein Zeichen dafür, dass alles Gestaltungsaufgabe ist und dass gute Architektur etwas nach außen zurückgibt.
Nachhaltiges Bauen im Fokus
Zur feierlichen Preisverleihung am 29. September 2022 im Deutschen Architektur Zentrum DAZ begrüßten Moderator Dr. Thomas Welter, Geschäftsführer des Bund Deutscher Architektinnen und Architekten BDA, und der Vorstandsvorsitzender des FVHF, Andreas Reinhardt, neben den Nominierten und ihren Bauherren rund 120 Gäste aus Bauindustrie und Baukultur. Mit einen Impulsvortrag zum Thema Klimaschutz und Nachhaltigkeit im Bauwesen bildete Andrea Müller von Architects for Future den Auftakt der Preisverleihung und sendete zugleich einen dringenden Appell, kreislaufgerecht und CO2-reduzierend zu planen und zu bauen. Daran anknüpfend appellierte Tim Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, das Vergaberecht zu reformieren und recycelte und alternative Baustoffe aufzuwerten. So ist die nachhaltigere Variante der wirtschaftlichen vorzuziehen. Der Jury- und Vorstandsvorsitzende der Bundesstiftung Baukultur, Reiner Nagel, berichtete aus der Jurysitzung, die die „Qual der Wahl“ hatte, und zeigte sich begeistert von der hohen Ausführungsqualität und Präzision der eingereichten Arbeiten. Für das langjährige baukulturelle Engagement dankte der Juryvorsitzende zudem dem Fachverband Baustoffe und Bauteile für vorgehängte hinterlüftete Fassaden e.V..
Wie die Themen Wiederverwendung, Recycling und Ressourcenschonung heute in der Lehre und Praxis im Architekturbüro gelebt werden, berichteten die Jurymitglieder Katharina Benjamin, Dozentin an der TU Dresden/TU Braunschweig, sowie Alexandra Wagner von allmannwappner und Nils Nolting von Cityförster – beide Preis- und Sonderpreisträger des Deutschen Fassadenpreises für VHF 2020. Der Nachwuchs und die Architektenschaft haben nach ihren Erfahrungen ein sehr geschärftes Bewusstsein, alternativ und mit weniger Materialverbrauch zu bauen. Mit Blick auf den Preisträger und die Anerkennungen des diesjährigen Deutschen Fassadenpreises für VHF zeige sich, dass Gestaltungsfreiheit und nachhaltiges Bauen sich gewinnbringend ergänzen können.